Kinderhilfe Litauen feiert 25-jähriges Jubiläum
„Es war sein Lebensinhalt“, sagt Eva Klingenberg über ihren Vater Manfred Schwaak. Vor 25 Jahren hat er die Kinderhilfe Litauen gegründet. Nicht die Einzige, aber eine der weitreichendsten seiner unzählbaren Ideen: Mit hierzulande liebevoll gepackten Weihnachtspäckchen wollte Manfred Schwaak kleinen Litauern ein Lächeln ins Gesicht zaubern.
SZ Extra Oktober 2019

Wie tief die Erlebnisse zeitlebens in ihm gesteckt haben müssen, lässt sich nur erahnen: Manfred Schwaak war eines der sogenannten „Wolfskinder“, die nach der Vertreibung der Deutschen aus Ostpreußen eltern- und heimatlos, frierend, hungernd, wie kleine Wölfe durchs Land streunten. Meinte es das Schicksal gut mit den Kleinen, trafen sie auch mitfühlende Menschen. Manfred hatte dieses Glück – und nie vergessen, was die Litauer damals für ihn taten. Aus Dankbarkeit gründete er vor 25 Jahren die Kinderhilfe Litauen.
Zur Dankbarkeit gesellten sich Herzblut, Liebe zu Land und Leuten – und nicht zuletzt ein enorm umtriebiger Geist. Im Vorgriff auf das 25-jährige Jubiläum hat Eva Klingenberg, die Tochter Manfred Schwaaks, durch das von ihrer Mutter sorgfältig archivierte Material gewühlt, hat Briefen, Fotos, Zeitungsschnipsel en masse gesichtet. Und dabei kleine Kostbarkeiten wie diese entdeckt: eine handgeschriebene Bestätigung an die „Leiter der Zollstellposten Litauen“, oder ein Schreiben von der Botschaft der Republik Litauen an der Leiter des Grenzschutzamts, den Transport mit „humanitärer Hilfe des Herrn Manfred Schwaak außer Reihe“ durchzulassen. Oder die Bittschrift von Edelgard Vogt, mit der sie sich an die Eltern ihrer damaligen Schüler wandte, womit sie der Litauenhilfe enormen Aufwind verschaffte. So gut wie alle Schulen im Schrobenhausener Land haben die Litauenhilfe im Lauf der Jahre unterstützt, zuvorderst mit den berühmten Weihnachtspäckchen – unzählige davon haben hiesige Kinder für ihre Altersgenossen in Litauen in den vergangenen 25 Jahre gepackt.
An die Anfänge erinnert sich Eva Klingenberg noch gut zurück. „Ich war damals 15, die ganze Familie war eingespannt. Für uns war das sehr fordernd, es hat unseren Alltag extrem bestimmt.“ Vieles wurde improvisiert. Im Keller türmten sich die Spenden, Tüten über Tüten packte die Familie selbst. „Ich habe sie mit Sternchen bemalt und ‚Frohe Weihnachten‘ drauf geschrieben, erinnert sich Klingenberg. Die Arbeitsteilung im Hause Schwaak lief seinerzeit folgendermaßen: „Papa hat die Ideen rausgehaut, Mama hat das Backup im Hintergrund gemacht.“ Immer tiefer drang sie beim Recherchieren in das Lebenswerk ihres Vaters vor – immer noch stolzer wurde sie auf ihn. Dass Schwaaks Wirken auch an höheren Stellen nicht unbemerkt blieb, davon zeugen hochkarätige Auszeichnungen wie der Litauische Staatsorden am Bande vom damaligen Präsidenten Roland Paksas, das Ehrenzeichen des Bayerischen Ministerpräsidenten hierzulande, die Schrobenhausener Bürgermedaille oder der posthum verliehene Georgius-Orden.
„An Ideen hat es ihm nie gemangelt“, sagt Eva Klingenberg. „Er hat das ganze Jahr über Leute angeschrieben, Aktionen vorbereitet.“ Schwaak brachte Deutsche nach Litauen – und Litauer nach Deutschland. Und wer auch immer sich im Umfeld der Kinderhilfe in Richtung Litauen aufmachte, kam tief bewegt zurück. Unvergessen auch diese Aktion: der Weltrekord im Simultanküssen, den Manfred Schwaak anno 1999 auf die Beine gestellt hat; weltweit wurde darüber berichtet. „er hat es immer geschafft, die Leute für seine Sache zu begeistern“, weiß Eva Klingenberg. So auch den damaligen Präsidenten des Deutschen Fußballbundes Gerhard Mayer-Vorfelder, den Schwaak sogar für die Spendenübergabe im Kinderheim gewinnen konnte.
„Ihr Vater hat etwas Tolles begonnen, Sie machen es ebenso toll weiter“ – über Feedback wie dieses freut sich Klingenberg enorm. Wenngleich das alles andere als ein reiner Selbstläufer ist. Denn anders als ihr Vater, der kurz nach der Gründung der Litauenhilfe in den Vorruhestand ging und sich damit voll in sein Projekt stürzen konnte, hat sie ebenjenes mit Beruf und Familie unter einen Hut zu bringen. Mit viel Engagement und Zeit – die freilich andernorts abgeht – und noch mehr Herzblut klappt das auch. All die Menschen, die dem Verein immer und immer wieder unter die Arme greifen, tun ein Übrigens. Einer davon: Sven Klingenberg. „Hut ab vor meinem Mann, dass er das so mitträgt“, sagt Eva Klingenberg.
Das Thema war im Prinzip „von der Stunde null“ präsent, blickt Sven Klingenberg auf die Zeit zurück, in der er seine Frau kennen lernte. „Mein Schwiegerwater war ja ständig mit der Kinderhilfe beschäftigt.“ Immer tiefer sei er dann in die Lebensgeschichte Schwaaks eingetaucht – und auch zunehmend in die Arbeiten involviert worden. Anfangs waren das nur ein paar „Zuarbeitungsdienste“ oder Packhilfen vor den Weihnachtstransporten. Später kümmerte sich Sven Klingenberg vermehrt um Themen wir die Präsenz der Litauenhilfe im Netz. „Manfred war ja supergut im Kontakteknüpfen sowie im Pflegen von Kontakten“, erinnert sich Sven Klingenberg. Wie man einen E-Mail-Account einrichtet – bei derlei Aufgaben war Schwaak wiederum der Schwiegersohn behilflich. Den Grundgedanken hinter der Litauenhilfe fand Sven Klingenberg „immer schon toll“. Irgendwann kam der erste Besuch in Litauen, erste Treffen mit den Menschen dort.
Und es kam der Tag, an dem sich alles änderte: der Unfalltod von Manfred Schwaak. Mit der Entscheidung, die Kinderhilfe damals, vor 5 Jahren, voll und ganz zu übernehmen, „waren wir erst mal komplett überfordert“, gesteht Sven Klingenberg heute. „Auch in dieser ganzen Trauer, als so viel Emotionales auf einen eingeprasselt ist. „Selbstverständlich habe man abgewägt: Familie, Jobs und Litauenhilfe – schafft man das alles parallel ? Letztendlich habe sich aber jeder Gedanke an ein Aus der Kinderhilfe „nicht richtig angefühlt“, sagt Klingenberg. „Also haben wir gesagt; Wir machen das ; wir wollen nicht, dass das aufhört, wir übernehmen diese Verantwortung.“
Es folgte der erste Weihnachtstransport unter der Regie seiner Frau. „Eine emotionale Riesenherausforderung, die sie super gemeistert hat“, blickt Sven Klingenberg zurück. Ein Jahr später war man bereits „einen Riesenschritt weiter. Es wurde leichter nach und nach.“
Mittlerweile haben die Klingenbergs haben die Klingenbergs den Verein neu strukturiert, allerdings – das liegt Sven und Eva Klingenberg am Herzen – immer und absolut im Sinne von Manfred Schwaak. „wir machen heute viel Projektarbeit“, erzählt Eva Klingenberg, als Vereinsvorsitzende, als Vereinsvorsitzende lenkt sie heute die Geschicke der Kinderhilfe Litauen. „Die letzten Monate waren sehr erfolgreich“, freut sie sich. Für Riesenjubel sorgte beispielsweise Frank Tyschler aus Bautzen bei den kleinen Litauern, indem er ihnen ein Bällebad spendierte.
Doch die Liste dessen, was die Litauenhilfe bereits erfolgreich angepackt ist noch so viel länger: die Einrichtung von Antiaggressions- oder Bastelräumen, einen Kneipp-Pfad zu bauen, Hilfe fürs Gemeindehaus in Naujiena oder Equipment zum Musizieren finden sich darauf. Sport- und Spielplätze wurden hergerichtet oder ein Computerraum auf Vordermann gebracht. „Aktuell haben wir ein tolles neues Projekt am Start“, freut sich Klingenberg: Nach „wilden Recherchen“ und mit toller Unterstützung der Rotarier kann sie in Kürze einen dringend benötigten Transporter übergeben, mit viel Platz für Rollstühle.
Rechtzeitig zum 25-jährigen freut sich die Vorsitzende aktuell über exakt 50 Mitglieder im Verein – Neuankömmlinge sind freilich nach wie vor jederzeit sehr willkommen. Worüber man besonders glücklich wäre: „Junge Menschen mit Zeit“, meint Eva Klingenberg schmunzelnd, „man muss ja träumen dürfen.“
Unglaublich schön sei es gewesen, in Vorbereitung auf die 25-Jahr-Feier das mit so viel Liebe geführte Lebenswerk ihres Paps Revue passieren zu lassen. Wobei Eva Klingenberg ihren Blick längst schon wieder Richtung Zukunft gerichtet hat. Denn, obwohl sich mit Unterstützung der Litauenhilfe schon vieles gebessert hat: „Es gäbe noch viel zu tun.“ Genügend Ideen schirren ihr dazu allemal durch den Kopf.
Alleine umsetzen kann sie die selbstverständlich nicht. „Die Unterstützung der Menschen wird gefühlt immer noch mehr“, freut sie sich. Übrigens auch im eigenen Haus. Gemeinsam mit einer Freundin hat Klingenbergs Tochter Lucia erst neulich Getränke gemixt, für einen Euro pro Stück in der Nachbarschaft angepriesen – und dabei doch glatt stolze 15,97 Euro für die Kinderhilfe eingenommen. „Die zwei haben sich gefreut wie Schnitzel“, erzählt Eva Klingenberg, und fügt hinzu: „Opa wäre begeistert.“
Auch vor der eigenen Haustür tummeln sich nicht wenige, die der Kinderhilfe immer wieder unter die Arme greifen. „Die Hohenrieder stehen schon seit Jahren voll hinter uns!, versichert Eva Klingenberg. „Ich bin total erfüllt von der Hilfsbereitschaft. „Die kommt mal in Form von Geschenken für die Litauer daher, die mir nichts, dir nichts vor der Tür auftauchen, oder als Geldschein, der Klingenberg zugesteckt wird; oder ganz aktuell durch Outdoorsporteln in Hohenried zugunsten des Vereins.
Ein Transport kommt in diesem Jahr allerdings nicht zustande. „So leid mir das tut – ich krieg es heuer nicht hin“, bedauert Eva Klingenberg. Und dennoch hat sie einen Plan; Mit Geldern des Vereins werden die Verantwortlichen vor Ort unterstützt, um den kleinen Freunden eine Freude zu bereiten. Hängen lässt die Litauenhilfe ihre Schützlinge also auch dieses Weihnachten nicht.